Anbieter von Finanzprodukten sind auf das Vertriebsnetz (bzw. den Kundenstamm) der Finanzberater und Vermögensverwalter angewiesen. Deshalb werden Provisionen an Berater bezahlt, wenn diese sich für ein Produkt des Anbieters entscheiden. Bei Tätigung von Transaktionen kann eine Bank Gebühren und Einnahmen erzielen. Mit Rückvergütungen beteiligt die Bank den Vermögensverwalter an diesem Umsatz. Diese Provisionen stellen somit in der Finanzwelt ein übliches „Anreizsystem“ dar.

Retrozessionen haben verschiedene Entstehungsquellen. Sie lassen sich grob in folgende Kategorien unterteilen:

  • Retrozessionen aus dem Depotgeschäft (Rückvergütungen im Zusammenhang mit Depotführungsgebühren)
  • Retrozessionen aus dem Handelsgeschäft (Rückvergütungen im Zusammenhang mit Courtagen bei Wertschriftentransaktion)
  • Retrozessionen aus dem Verkauf und dem Halten von Finanzprodukten (Rückvergütungen eines Teils der Management-Gebühr bei Finanzprodukten)
  • Retrozessionen aus dem Akquisitionsgeschäft (Rückvergütungen des Ausgabeaufschlages bei Investmentfonds)
  • Retrozessionen aus Devisengeschäften

Generell gilt: Sobald Berater Provisionen von Dritten erhalten, können sie dazu verleitet werden, deren Interessen höher zu gewichten und damit ihre eigenen Interessen über diejenigen der Kunden zu stellen. Dies kann sich etwa darin manifestieren, dass Anbieter bevorzugt werden, welche hohe Provisionszahlungen in Aussicht stellen.

Auch in der Finanzbranche besteht die Gefahr, dass durch die Zahlung von Retrozessionen der Vermögensverwalter auch im Interesse der Bank und nicht nur im Interesse seiner Kunden handelt. Weil er mit einem Prozentsatz an den Gebühren partizipiert, ist er unter Umständen nicht immer daran interessiert, die Gebühren für seine Kunden niedrig zu halten. Da der Vermögensverwalter bei seinen Anlageentscheidungen viel Spielraum hat, ist es ihm möglich, seine Einnahmen durch höhere Bank- und Produktgebühren deutlich zu steigern.

Aufgrund des bestehenden „Anreizsystems“ könnte namentlich eine Bank versucht sein, ihren Kunden nicht diejenigen Anlageprodukte zu empfehlen, die den Ansprüchen und dem (Risiko-)Profil des Kunden am besten entsprechen, sondern diejenigen für welche sie die höchsten Entschädigungen einnehmen kann.

Verlässliche Zahlen über die Gesamtsumme an Retrozessionen existieren nicht. Klar ist aber, dass Retrozessionen jährlich einen Betrag zumindest in dreistelliger Millionenhöhe ausmachen (manche Finanz-Experten gehen von mehreren Milliarden Franken pro Jahr aus)! Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) bezifferte die Vermögensverwaltungskosten allein in der beruflichen Vorsorge in einer Studie von 2011 auf 3,9 Milliarden Franken. Darin sind neben Retrozessionen auch Bankgebühren, Courtagen, Management-Fees und Stempelsteuern enthalten.

Die Rechtsprechung weist grundsätzlich in die Richtung, dass auch Anlageberatungskunden Anspruch auf Retrozessionen hätten. Es spricht vieles dafür, dass auch Kunden, die sich bei der Anlage ihrer Ersparnisse beraten liessen, einen Anspruch auf Auszahlung der Vertriebsprovisionen hätten. Grundsätzlich gehe es auch bei der Anlageberatung um den Interessenkonflikt der Bank. Wenn sie Provisionen für den Verkauf von Finanzprodukten behalten darf, besteht die Gefahr, dass sich die Beratung an den Provisionen orientiert und nicht am Bedürfnis des Kunden. Das würde bei der Anlageberatung genauso wie bei einem Vermögensverwaltungsmandat gelten. Es gäbe somit starke Hinweise darauf, dass das Gericht sich auch bei einer Anlageberatung für die Offenlegung und Herausgabe von Retrozessionen aussprechen würde.

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